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Zum Realitätsbegriff bzw. der Realitätsvorstellung im Alltag

Realität ist im Alltagssinn das, was wir empfinden. Dinge, zu denen wir keinen emotionalen Bezug haben, sehen wir gerne als Geistes- oder Verstandesprodukt, als virtuell, als möglicherweise nicht relevant an. Vielleicht relevant auf einer technisch-abstrakten Ebene, aber nicht relevant für unsere nächste Handlungsentscheidung.

Wenn man nun also Gefühle als das Medium begreift, das den Kontakt herstellt zwischen unserer Umwelt und uns, dann sind Gefühle entscheidend bei der Bildung unseres Bildes der Umwelt, der Welt. Die Frage ist, wer oder was beeinflußt diese Gefühle? Dinge, die keine Gefühle auslösen, bleiben in der Regel folgenlos. Das heißt nicht, daß Gefühlsaufwallungen immer zu zweckgerichteten, diesbezüglichen Handlungen führen, aber ohne eine emotionale Beteiligung fühlen wir uns auch nicht involviert. Nicht involviert zu sein, heißt nicht, daß wir nicht dennoch in einem Zusammenhang mit einem Ereignis, einer Beobachtung, einer Mitteilung reagieren können, aber eine zielgerichtete Handlung, die in direktem Bezug zu diesem Ereignis steht, wird nicht zustandekommen.

Wenn wir an einen Unfallort kommen, hängt unsere gefühlsmäßige Reaktion von vielen verschiedenen Faktoren ab. Sind schon viele Leute am Ort, um zu helfen, ganz besonders Polizei und medizinische Kräfte, sind wir von der Notwendigkeit, uns involviert zu fühlen, völlig befreit und können Handyfotos der spektakulären Szenerie machen. Völlig empathiefrei und alle Geschmacks- und Sittengrenzen überschreitend. Andererseits führt ein hohes Maß an gefühlsmäßiger Reaktion zu einer Verstärkung der angenommenen Wirklichkeit.

Angst vor Überfremdung ist zur Zeit ein hoch aufgehängtes Thema der öffentlichen Kommunikation. Angst ist ein starkes Gefühl. Und es gibt Politiker, die schon davon reden, daß die Angst Realität für viele Menschen sei, was natürlich für diese Menschen belastend ist, daß aber diese Angst eben auch eine Realität schafft. Ob die Überfremdung nun real ist oder nicht, spielt keine Rolle in dem Moment, in dem ich diese Angst habe. Der einfachste Weg, den natürlich viele Politiker gehen wollen, ist der, zu sagen: Wir tun etwas gegen deine Angst, damit du dich wieder gut fühlen kannst.

Mit anderen Worten, selbst wenn die Flüchtlingszahlen so niedrig wären, daß ein gesellschaftlicher Einfluß dieser Gruppe kaum wahrnehmbar wäre, würde man politisch etwas tun wollen, weil eben diese Angst als Aktionsmotor völlig ausreicht. Es wird nicht der Versuch gemacht, diese Angst an ihrer Ursache zu packen, sondern sie wird sozusagen als gerechtfertigte Reaktion interpretiert, so daß die Handlung gegen diesen bedauerlichen Zustand automatisch mit legitimiert ist. Die ständige Betonung dieser Ängste, von denen niemand genau weiß, welche Prävalenz sie überhaupt besitzen, bildet aber gleichzeitig eine Angst-beherrschte Atmosphäre, so daß am Ende auch diejenigen diese Angst mitempfinden, die initial gar keine Angst hatten.

Wenn ich wochen- und monatelang in einem Computerkriegsspiel Strategien entwickeln muß, um mich gegen Hecken- und Scharfschützen zur Wehr zu setzen, laufe ich Gefahr, mich irgendwann auf der Straße umzudrehen, weil ich hinter mir einen Schatten wahrgenommen habe. In diesem Moment ist das Spiel Teil meiner Wirklichkeit geworden! Genau der gleiche Effekt läßt sich beobachten, wenn eine Sau monatelang durchs Dorf gejagt wurde, sprich, das Thema Burka zehn-, zwanzigmal pro Woche im Fernsehen, in der Presse, im WWW stattgefunden hat. Irgendwann kann selbst der Abgebrühteste, dem, so wie mir, das Thema Burka am Arsch vorbeigeht, weil es in ganz Deutschland nach jüngsten Erhebungen vielleicht (?) 800 Burka-Trägerinnern gibt, sich seinen laissez-faire-Standpunkt nicht mehr leisten, weil ständig Anwürfe stattfinden der Art, warum man denn dazu verdammt-nochmal keine Meinung habe. “Weil es gar kein Problem ist”, will man sagen, aber natürlich heißt es dann: “Ja, doch, natürlich ist das ein Thema!” Die Begründungen dürfen Sie sich jetzt beliebig hinzudenken.

PS: Wenn die Begründung sein soll, daß eine Burka frauenfeindlich ist, soll man dann glauben, daß man frauenfeindliche Denkweisen und Weltbilder mit einem Burka-Verbot aus der Welt schaffen kann? Indem man in Deutschland in 800 Einzelfällen das Tragen einer Burka verbietet? Soll ich darüber jetzt etwa lachen?

Der SWR2 und sein Verhältnis zu digitalen Medien

Dieses ist nicht von Kritik tangiert. Jedenfalls nicht von innen. Eine dialektische Herangehensweise an das Thema findet nicht statt, man findet im Gegenteil unverhohlen subjektive und emotionalisiert vorgetragene Scheinargumentationen, in deren Zusammenhang ausgewiesenermaßen oder potentiell Andersdenkende, die sich der Arbeit dialektisch-kritischer Analyse unterworfen haben, herabgewürdigt und als Ignoranten beschimpft werden.

Den vollständigen Text zur Sendung vom 23.04.2016 findet man hier.

Die Einleitung gibt schon einmal die Richtung vor: “In Deutschland leisten Lehrer Pionierarbeit, wenn sie Computerspiele als Unterrichtsmedium einsetzen. Die Überzeugungstäter benutzen die “Freizeitgestalter” als spielerischen Lernmotor, ziehen mit ihnen weniger beliebte Themen neu auf oder programmieren mit den Schülern gleich eigene Spiele. Inwieweit kann der Einsatz von Computerspielen den Schulalltag bereichern?”

Es ist also Pionierarbeit, was wohl niemand negativ konnotieren wird. Daß Überzeugungstäter nicht negativ gemeint ist, zeigt sich im Verlauf des Texts. Und die Frage am Schluß, “inwieweit”, läßt nur noch die Frage nach der Quantität zu, nicht mehr die Frage nach Qualität, nämlich, ob diese Vorgehensweise überhaupt erzieherisch sinnvoll ist.

Dann wird folgendes in Bezug auf Computerspiele festgestellt: “Als kulturelles Medium stehen diese gleichberechtigt neben Werbung, Film oder Literatur. In der Schule finden sie immer noch kaum statt.”

Werbung, Film und Literatur sind also kulturelle Medien. Gut. Da der Begriff kulturelles Medium völlig offen ist und nicht einer bestimmten Lesart unterliegt, nehmen wir ihn hin. Die Logik hinter dem Satz ist nun: Die Computerspiele finden in der Schule immer noch kaum statt, obwohl sie kulturelles Medium sind. Ich will nicht billig sein und sagen: Klar, in der Schule soll ja auch gelernt und nicht gespielt werden. Aber nehmen wir das ernst, dann heißt das doch, daß alles, was kulturelles Medium ist, in der Schule stattfinden muß. Was immer jetzt auch das Wörtchen stattfinden in dem Zusammenhang bedeuten soll.

Beschriftete Toilettenwände und Klotüren sind auch ein kulturelles Medium, von Graffiti übersäte Autobahnbrücken und Transformatorenhäuschen ebenso. Litfaßsäulen auch, siehe Werbung. Wahlpamphlete und -plakate, Satiresendungen, Shopping-Sender, ja, und letztlich alles, aber auch wirklich alles, was man im WWW finden kann, all das sind kulturelle Medien.

Jetzt kann man mit Fug und Recht fordern, daß die ganze Welt stattfindet in der Schule. Aber haben wir dafür Zeit? Nein, haben wir nicht! Also ist die Logik hinter dem Satz keine. Wir sind gefordert, die Inhalte, die kulturellen Werkzeuge zu lehren, die grundlegend sind für ein emanzipiertes Leben, für die Fähigkeit, sich aus eigener Kraft weiterzubilden.

Minecraft ist jetzt ein ganz besonderes Computerspiel: “Ein Unikat in der kommerziellen Spielelandschaft, das international bereits in der Entwicklungsphase von engagierten Lehrern entdeckt wurde.”

Minecraft wurde also von engagierten Lehrern entdeckt. Die, die es nicht für den Unterricht entdeckt haben, sind also nicht engagiert. So soll, nein, so muß man das verstehen!

Dann folgt etwas später dieser Absatz: “Gerade in puncto Computerspiel paart sich Kritik meist mit Ignoranz. Trotzdem benutzen auch die jüngsten Lehrergenerationen wie ihre Schüler die neuen Medien erst einmal als Konsumenten. Und orientieren sich im Beruf an der klassischen Pädagogik.”

Meistens sind die, die Computerspiele kritisieren, Ignoranten. Das sagt der erste Satz aus. Oder, etwas harmloser formuliert: Kritisiere besser nicht, die Gefahr, daß dich SWR2 für einen Ignoranten hält, ist groß.

Und die klassische Pädagogik (klingt wie Schulmedizin) führt dazu, daß man den neuen Medien nur als Konsument entgegentritt.

“Richtig verstanden bieten Computerspiele einen schülerfreundlichen Einstieg in die digitale Medienerziehung, eine Kernkompetenz der Zukunft, die im Unterricht leider kaum vermittelt wird.”

Digitale Medienerziehung ist eine Kernkompetenz der Zukunft, die im Unterricht leider kaum vermittelt wird. Wer mir den Satz erklären kann, bekommt 100 Heilerpunkte.

“Doch es wird Zeit für eine kritische Auseinandersetzung in der Schule, noch bevor die medienpädagogische Grundlagenforschung endlich belastbare Erkenntnisse liefern kann. Computerspiele können hilfreich sein. Am Ende kommt es aber – wie immer und ganz banal – auf das eigentliche Lehrmedium an – die Lehrerinnen und Lehrer.”

Kritische Auseinandersetzung in der Schule ist also gefordert. Mit was, bitteschön?

Belastbare Erkenntnisse: Dafür, daß es eine gute Idee ist, Kindern Kafka nahebringen zu wollen, indem man sie Die Verwandlung als Grundlage für ein Computerspiel benutzen läßt? Wird dann mit Äpfeln auf den Käfer geworfen oder darf der Käfer irgendwann zurück auf die Beine finden und wie Godzilla die Stadt verwüsten?

Danke für die Vergeudung unser aller Gebühren!

PS: Wer mal bei SWR2 nachschaut, wieviele kritische Berichte es über das Thema gibt, wird auf die Zahl Null kommen. Emotional-subjektiv eingefärbte, bejubelnde Beiträge findet man dagegen leicht.

​PPS: Ich teste jetzt HR2 Kulturradio 🙂

WordPress: Hinweis im Fuß der Seite entfernen

WordPress-Themen zeigen im Fuß der Seite den Satz: “Stolz präsentiert von WordPress”. Ziemlich dämlich, eigentlich, denn wenn hier einer etwas präsentiert, dann doch wohl der Autor der Website.

Um den Hinweis zu entfernen, muß man sich Zugriff auf die Datei footer.php des verwendeten Themas verschaffen und diesen Link entfernen:

<a 
   href="<?php echo esc_url( __( 'http://wordpress.org/', 'twentytwelve' ) ); ?>" 
   title="<?php esc_attr_e( 'Semantic Personal Publishing Platform', 'twentytwelve' ); ?>"
>
<?php 
   printf( __( 'Proudly powered by %s', 'twentytwelve' ), 'WordPress' ); ?
>
</a>

Der Text ist zwar Englisch, aber das Löschen dieser Linkdefinition entfernt auch den deutschsprachigen Satz.

PS: Der Titel dieser Seite wird von WordPress automatisch in Großbuchstaben angezeigt (in Abhängigkeit vom gewählten Thema). Da das scharfe S als Großbuchstabe nicht existiert, muß man im Titel Fuss schreiben, sonst erzeugt WordPress etwas, was aussehen soll wie ein ß als Großbuchstabe. Was dummes Zeug ist. Im Fließtext wird die normale Schrift verwendet, sodaß hier der Kleinbuchstabe korrekt ist und man Fuß schreiben kann.

Schaffung einer Verschwörungstheorie

Als erstes trifft man eine Unterscheidung, nämlich die zwischen den Wissenden und den Unwissenden. In diesem ersten Schritt steckt eine solche Ungeheuerlichkeit, daß man dieses Moment, das im ersten Moment der Entstehung dieses Gedankens, sozusagen den Urknall der Idee, präzise untersuchen muß, um zu verstehen, wie sich alles Weitere zwanglos aus diesem Ansatz herleiten läßt. Die getroffene Entscheidung, Wissende von Unwissenden zu unterscheiden, fußt auf der vorhergehenden Annahme, es gäbe etwas, was man zweifelsfrei wissen kann. Da es bei einer Verschwörungstheorie nicht um Alltagsprobleme geht, sondern um universell existentiell Bedeutsames, kann es sich bei dem Wissen, das die einen haben, und die anderen nicht, nur um etwas handeln, das eine entscheidende Bedeutung für die Sinngebung des Lebens an sich und der menschlichen Existenz im Besonderen hat. Ob dieses gewußte Etwas in einem religiösen oder einem nicht-religiösen Kontext dargestellt wird, ist dabei nachrangig.

Bis hierher haben wir es also mit einem in seiner Bedeutung alles überragenden Etwas zu tun, das nur wenige kennen, nämlich die Eingeweihten, die Sehenden, die Wissenden oder wie auch immer man sie nennen will. Der Verschwörungstheoretiker (VT) sieht sich also als Angehöriger einer Elite mit einem ungeheueren Wissensvorsprung vor dem Rest der Welt.

Soweit kommt man aber in der Entwicklung der Theorie nur, wenn man eine weitere Annahme trifft bzw. lange vorher bereits getroffen hat, nämlich die, daß es so etwas wie ein zweifelsfreies Wissen gibt, ein Wissen, das keinem Diskurs mehr ausgesetzt werden muß und kann, weil es ja eben zweifelsfrei im Raum steht. Da es, wie bereits ausgeführt, nicht um die Frage geht, ob der Stuhl vier Beine hat oder drei, und somit ein Hocker ist, sondern um Inhalte und Begrifflichkeiten, die sich im Bereich der Weltdeutung bewegen, ist eine erkenntnistheoretische Betrachtung dieses konstatierten Wissens um zentrale Dinge der Welt keine Haarspalterei.

Der VT macht sich aber über die Frage, ob es solche Wahrheiten wie die, in deren Besitz er sich wähnt, überhaupt geben kann, keinerlei Gedanken, es ist für ihn so zweifelsfrei klar, daß er im Besitz dieser Wahrheiten ist, wie er sich darüber sicher ist, daß es Wahrheiten sind. Der VT tritt also in seiner Deutung der Welt auch nicht neben sich, um sich in Unterscheidung von seiner Umwelt und in seiner Existenz als historisches und soziales Subjekt zu sehen, er hält sich vielmehr für den Endpunkt einer Entwicklung, der aus sich heraus absolut legitimiert ist.

Der Begriff des Zweifels bekommt in der Weltanschauung des VTs eine neue Bedeutung: Subjekte der Bezweiflung sind alle Phänomene außerhalb seiner Innenwelt, reflexiv verwendet der VT das Konzept des Bezweifelns nicht. Das kann er auch nicht, weil er als Wahrheitsinhaber kein Subjekt des Bezweifelns sein kann. Und seine Gedankengänge und Schlußfolgerungen genausowenig. Es ist wie bei Midas, dem alles zu Gold wird. Somit wird im Bewußtsein des VT alles wahr, was er als valides Element in dieses Bewußtsein eingliedert. Andere Elemente als die, die er als valide empfindet, finden nicht statt, können also auch nicht einem (inneren) Diskurs ausgesetzt werden.

Hat der VT nunmehr genug Elemente beisammen, deren wahre Bedeutung nur er bzw. ein kleiner Kreis Eingeweihter oder Wissender kennt, verknüpft er sie dahingehend, daß sich eine spektakuläre Aussage treffen läßt. Wäre die Aussage nicht spektakulär, wäre sie alltäglich und langweilig, aber genau das ist die Triebfeder des VT: Seine Angst, alltäglich und langweilig zu sein. Bevor er unter der Entdeckung seiner eigenen Belanglosigkeit hätte zusammenbrechen können, stellte er fest, daß er befähigt ist, Wahrheit zu erkennen. Sei es auf dem Felde der Politik oder der Religion: Ein Gebiet, das nicht potentiell die gesamte Menschheit interessiert, eignet sich nicht für diese Erlösung aus der Belanglosigkeit. Mit einem Hinterbänklerplatz kann sich der VT nicht zufriedengeben, seine Rolle ist von messianischem Ausmaß. Er beginnt also, Wahrheit politischer oder religiöser Natur auszusprechen.

Der apokalyptische Visionär (AV) geht einen Schritt weiter: Er proklamiert nicht nur das Problem, sondern auch seine Lösung. Der VT hat keine Lösung, im Zweifelsfall bietet er Gewalt als Strategie an, die dann mit Haßäußerungen einhergeht. In dem Moment, in dem der VT gezwungen wird, Lösungsangebote zu machen, entlädt sich seine latent gefühlte Unzufriedenheit mit sich selber, die er als Unzufriedenheit mit der Welt mißversteht, in Haßausbrüchen, zu denen nahezu zwangsläufig dann Gewaltphantasien entwickelt werden, die schließlich als Lösung dargeboten werden. Eine solche Phantasie kann dann z. B. darin bestehen, einen Politiker am liebsten tot zu sehen, ermordet, aber die Frage, wie das die Verhältnisse ins Bessere verkehren soll, bleibt natürlich unbeantwortet.

Beim AV ist diese Gewalt die Vorphase der Apokalypse (wenngleich es eine unpersönliche Gewalt ist bzw. bleibt: Die Handelnden sind nicht benannt, die Rollen ebensowenig, und diese Detailbetrachtung ist auch innerhalb des Gesamtkonzepts Apokalypse nicht notwendig.) und somit ein legitimer Bestandteil dieser Weltinterpretation, denn daß einer Apokalypse eine gewalttätige, grauenvolle Krise vorausgeht, ist fester Bestandteil des Volksglaubens. Ebenso wie die verschwommene und unklare Idee eines Danachs in einem Zustand der Erlösung.

Ein VT ist also, so gesehen, ein Vordenker eines AV, vollendet aber seine Berufung nicht. Dem VT fehlt auch die Vision des Besseren, die Utopie, welche der AV aber hat und als eigentliche Bestimmung des Schicksals feilbietet. Nur dieses dumme Problem der gräuslichen Katastrophe, durch die man leider im Sinne einer Katharsis hindurch muß, kann auch er nicht aus der Welt schaffen. Das ist aber strukturbedingt: Der reine Utopist muß eine gewaltige Phantasie aufbieten, um Menschen für seine Utopie zu begeistern, und die meisten werden ihn dann als Phantasten abstempeln. Diesen Fehler macht der AV nicht: Er baut in seine Erzählung das ein, wovor jeder Angst hat: Daß alles den Bach runtergeht, daß die Menschen alles falsch machen, daß der Untergang feststeht und nur sein Zeitpunkt noch nicht genau bekannt ist. Und dazu sagt der AV: “So wird es kommen, aber dann, wenn die Wahrheit für alle sichtbar geworden ist, wird alles besser!”

Das größte Problem des AV ist, daß er irgendwann langweilig wird mit seinem Gerede von der Apokalypse, während der VT ständig vor sich hinraunen kann, jederzeit etwas, was er für Information hält, seinem Deutungsapparat unterwerfen und angedaut seiner Umwelt wieder darreichen kann. Während also der AV schließlich im sozialen Aus landet, bleibt der VT unappetitliches Mitglied der Gesellschaft, mit dem man nur auf eine Weise sinnvoll umgehen kann: Mit Ignoranz.